Die Berichterstattung über das Atom-Unglück in Fukushima, die Einschätzungen der Spezialisten, sowie die eigenen Versuche der kritischen Theoretisierung der Katastrophe, erscheinen als der hilflose Versuch einer Rationalsierung von etwas, das man nicht einschätzen kann, dessen Folgen nicht absehbar sind. Günther Anders bringt dies auf den Punkt, wenn er meint, dass die Nutzung der Kernenergie die Ding-Kategorie, sowie jede Zweck-Mittel-Konstellation vollständig aushebelt. Seine Texte, vor allem über die militärische Nutzung der Atomkraft, haben seit Ihrem Erscheinen nicht an Aktualität verloren – und sie beschrieben schon damals den Hohn der jetzigen staatsmännisch kalkulierenden und taktischen Debatte über den Atomausstieg:
■ Günther Anders: Gebote des Atomzeitalters (1957)
Ein polemischer Schlag gegen diejenigen, die jetzt von der Katastrophe profitieren und sich mit erhobenem Zeigefinger an den taktischen Diskussionen beteiligen, ist der „beste [mittlerweile von den Indymedia-Moderatoren versteckte, Anm. Æ] Indy-Beitrag seit langem“ (Nada):
■ Kommando de Sade: Eine Verarbeitung in neun Punkten zur Unfähigkeit der kritischen Massen das Elend der Menschen in Japan und anderswo zu reflektieren
Ebenfalls mit einem Bezug auf Günther Anders setzte sich Roger Behrens schon Ende des letzten Jahres in einem Artikel mit der Geschichte der Atomkraft und ihrer Gegner auseinander und argumentiert dort gegen die Unterscheidung von ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft, sowie von Atomstaat und Ökostaat:
■ Roger Behrens: Steinzeit? Nein Danke!
Durch die Ereignisse in Japan und die darauf folgende Diskussion in Deutschland musste ich wieder an einen Text denken, der Anfang der 90′er Jahre in einer kleinen autonomen Zeitung („Projekte Utopie. Info 4″) erschienen ist. Es handelt sich um eine Streitschrift von P.M. (libertärer Kommunist, utopistischer Romanautor und Historiker) zur Kritik der Öko-Linken, in dem er sich damit auseinandersetzt, wie wenig der Öko-Staat einer Alternative zum „Beton/Blech/Atomstaat“ ist. Auch wenn der Text einige Seltsamkeiten enthält, finden sich in ihm doch treffende Beobachtungen, die erstaunlich aktuell sind. Ich habe den Text zur Dokumentation abgeschrieben. Den praktischen Teil, in dem die Bolos (kleinere, kommuneartige „organische Gemeinschaften“) als Alternative zum Öko-Staat vorgestellt werden habe ich rausgelassen, da hier P.M. trotz seiner ziemlich passenden Kritik an der Linken, zum Teil einige ihrer gruseligen Aspekte weiter trägt (auf die Formung neuer kultureller Identitäten, „z.B. in einem Quartier“, habe ich dann doch keine Lust):
Gegen den Ökostaat
- Für ein Netz selbstbestimmter Gemeinschaften -
(Ein Beitrag von P.M. Zunächst veröffentlicht in der schweizer Zeitschrift „Alpenzeiger“)
Seit die Industriezivilisation spürbarer an die ökologischen Grenzen gestoßen ist, hat der ‚Fortschritt‘, auf den auch die Linke gesetzt hat, viel von seinem Glanz verloren. Es ist nicht mehr möglich, auf die vom Klassenkampf vorangetriebene „Entfaltung der Produktivkräfte“ zu hoffen, die trotz des irrationalen Kapitalsystems so viel Überfluss schaffen würde, daß die Fessel des Leistungs/Lohn-Systems sozusagen von selbst zerbrechen müsste. Das Kapital wird nicht im eigenen Überfluss ersaufen, weil der Planet ein Gleichgewichtssystem ist, das nicht alles erträgt. Ging es ursprünglich darum, „gesellschaftlichen Reichtum“ zu erobern, so hat sich die Linke bald auf den Ausweg des gesteigerten individuellen Konsums (Wohlstand, Wohlfahrt, „staatlich garantierte sozialistische Kleinfamilie“) eingelassen.
Die Weichen zu dieser Entwicklung wurden verhältnismäßig früh, etwa vor 100 Jahren gestellt. Der Kampf um kommunitäre Selbstorganisation der Arbeiter wurde aufgegeben und durch einen gewerkschaftlich/politischen verdrängt – manchmal gegen den Widerstand der Arbeiter. Die sog. „Utopien“ sind nicht von selbst gescheitert, sie wurden von der Linken geopfert, um ins politische Spiel eingelassen zu werden. (Selbst Marx war in diesem Punkt nicht ganz klar. In seiner beißenden Kritik des „Gothaer Programms“ zeigt es sich, dass er für eine Identifikation von Sozialismus und Staat nicht viel übrig hatte. Im Gegensatz zu Lenin hielt er auch die Entfaltung der russischen Obschtschinas – bolos – zu kommunistischen Gemeinschaften für möglich.) Seit dieser Weichenstellung jedenfalls ist die Linke in der Rolle des ewigen Sparring-Partners des Kapitals geraten und drehen sich die inneren Linienkämpfe nur noch um die Methoden dieses Boxmatches: Soll man mit (Reformismus) oder ohne (Leninismus, bewaffneter Reformismus) Handschuhe kämpfen. In diesem Zusammenhang tauchte die verhängnisvolle Illusion des „revolutionären Gebrauchs der Form Staat“ auf. Die Diktatur des Proletariats war sicher eine gut gemeinte und sehr demokratische Idee (90% herrschen über 10%). Lenin war aufrichtig, als er den Staat einfach so machen wollte, dass jede Köchin ihn mitmanagen konnte. Denn auch wenn uns Köchinnen, Gärtner und Fräser als olitisches Personal sympathischer sind als Unternehmer, Adelige und Professoren und auch ihre Kompetenz sicher höher ist, so bleibt doch die Tatsache, dass sie als „Einzelbürger“ ohne Hausmacht auftreten, also den organisatorischen Bürokratien (Partei, Gewerkschaft etc.) auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bleiben. Damit eine Klasse herrschen kann, braucht sie innere Disziplin (kein Problem für die in „großen Familien“ organisierte und zahlenmäßig überschaubare Bourgeoisie) und die Erfordernisse dieser Kohäsion müssen alle kommunitären Lebensformen zerstören. Die proletarischen Diktatoren blieben so gesellschaftlich schnell „allein“ und mussten sich folglich immer mehr auf die entfremdeten Machtorgane der Staatsmaschine (Polizei, Armee) stützen. Statt dass die Köchin sich mit den Bauern (Lebensmittelzulieferer) und Essern organisiert, sitzt sie bald allein im Büro und muss – sicher gegen ihre Willen – die Polizei rufen, um Lebensmitteldiebe zu fangen. Der Braten wird nicht zum Anlass von selbstbestimmter Gesellschaftlichkeit (wer isst mit wem in welcher Ambiance?), sondern zu einer Aufgabe anonymer Verteilung eines idealen (und darum immer defekten) Versorgungsstaates. Was entsteht ist kaum mehr als eine vituelle Aktiongesellschaft aller Arbeiter, die durch die Form Staat sich selbst gegenüber das Kapital reproduzieren und repräsentieren. Die Arbeiterklasse spielt mit sich selber Schach – und das macht keinen Unterschied, denn Kapitalismus ist nicht eine Frage des jeweiligen historischen Personals.
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