Mit Dexter ist es mir passiert, dass mich seit Twin Peaks zum ersten mal eine Serie (ein Format, mit dem ich sonst eigentlich recht wenig anfangen kann) wieder gefesselt hat. Nachdem ich nun die ersten drei Staffeln durchgesehen habe, wollte ich hier fragmentarisch ein paar Reflexionen zu dieser Serie niederschreiben, die vor Allem auf einen Vergleich hinauslaufen: Die Figur Dexters entspricht in wesentlichen Zügen der das Dandys des Ästhetizismus. Die entscheidenden Unterschiede verweisen hingegen auf einige spezifische Merkmale postmoderner Subjektivität.
Dexter Morgan arbeitet in der Spurensicherung der Polizei von Miami und hat als Bulle etwas zu verbergen: Seitdem er als Kind traumatisiert wurde, da er die blutige Ermordung seiner Mutter mit ansehen musste, verspürt er in sich einen unstillbaren Drang zu töten. Sein Adoptivvater, seinerzeit ebenfalls Polizist, hat die mordlüsterne Neigung seines Ziehsohns jedoch früh erkannt und hat ihm beigebracht seinen Trieb zu kanalisieren: zunächst auf Tiere, später auf Schwerverbrecher, die ungestraft durch Gesetzeslücken entschlüpfen konnten. Dexter lernt wie er seine Opfer töten kann ohne Spuren zu hinterlassen und folgt dabei den strengen Anweisungen seines Vaters: niemals einen unschuldigen Menschen zu töten und niemals irgend einen Menschen von seinem düsteren Inneren erfahren zu lassen. Letzteres ist für Dexter die einzige Möglichkeit zu überleben. So dem Kodex seines Vaters folgend, lebt Dexter ein ganzes Leben als Fassade. Er muss selbst vor seinen nahsten Menschen sein wahres Ich ständig und immer wieder verbergen, ist als das Monster, das in seinem Innersten lauert, immer von allen Menschen um ihn herum entrückt und muss ob seiner inneren Leere, die er nur durch das Morden für eine kurze Zeit füllen kann, alle gesellschaftlichen Konventionen und Bräuche , die er nicht nachvollziehen kann, vortäuschen.
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Damit trägt die Serie zum Teil stockreaktionäre Züge. Die ständig präsente Stimme der Vaterfigur wird als gerechte immer wieder geadelt, es gibt keine Möglichkeit für Dexter sich von seinem Familienschicksal zu emanzipieren, das unentrinnbare Band der Familie erscheint zudem oft als einzig mögliche Rettung, das Mörder-Morden ist als korrigierende Aufrechterhaltung einer bürgerlichen Ordnung letztlich okay, Triebverzicht und absolute Selbstkontrolle werden propagiert. Schließlich manifestiert sich in Dexters Freundin Rita – ein Vergewaltigungsopfer, das ohne Dexters Hilfe kaum zurecht kommt, sich weinerlich-hilflos auf dessen starke Schulter stützt und ohne ihn, ihrem kriminellen Ex-Mann hilflos ausgeliefert ist – eine ziemlich sexistische Projektion.
Dennoch gibt es neben diesen Tendenzen eine Ambivalenz in der Serie, die es zu untersuchen lohnt. Gerade das Verhältnis zu seinem Vater und zu seinen Trieben wird gegen Ende der ersten Staffel nicht mehr zu einer eindeutigen Angelegenheit. Dexter entdeckt, dass sein Vater ihm einige wichtige Details über seine Vergangenheit vorenthalten hat und als sein Bruder, von dem er nichts gewusst hatte, plötzlich auftaucht, beginnt er an der Richtigkeit des Codex von Morgan Senior zu zweifeln. Ist es richtig, ständig von sich selbst absehen zu müssen? Dass sich Dexter schließlich doch für sein gespieltes Ich entscheidet, das sich ständig gegen sein ‚wahres Ich‘ richten muss, ist nicht in erster Linie eine Entscheidung für seinen Vater, sondern dafür überhaupt bestehen – ergo überleben – zu können. Damit gibt der Verlauf der Serie möglicherweise einen Verweis darauf, dass Dexters Qualen nicht lediglich dem Schicksal seiner Kindheit entspringen, sondern etwas mit einer Gesellschaft zu tun haben, die alles andere als in Ordnung ist. Nicht nur dass sich während der ersten zwölf Folgen immer wieder Konstellationen entfalten, die von einem gestörten Miteinander erzählen. Dexter begegnet immer wieder Menschen, die ebenfalls mit einer Kraft zu kämpfen haben, die tief in ihrem Inneren lauert. Es ist eigentlich verdammt witzig, wie so ganz nebenbei, sich die Mordlust auch in anderen Mitmenschen zu erkennen gibt, denen Dexter begegnet. Und auch wenn Dexter am Ende allein seinen aufrechten Gang als Fassade geht – hier wird gegenüber den deutschen Fernsehproduktionen eine spezifische Qualität des amerikanischen Fernsehens sichtbar: Könnte es in Deutschland jemals einen Polizisten als Helden geben, der neben seinem Berufsalltag serienweise Menschen um die Strecke bringt, der aus einem Rachemotiv kein verquirlt moralisches Ding macht, sondern es einfach für sich tut? In Deutschland ist die Welt am Ende meistens so heile wie sie vorher war – Dexter hingegen hinterlässt nichts als Verstörung, die von einer verstörten Welt herkommt. (mehr…)